Zweimal „Bronze“ für Vivian Groppe

Nachdem Vivian Groppe (MT Melsungen) mit ihren guten Sprintzeiten über 100 Meter (11,91) und 200 Meter (24,54) nicht nur die Konkurrenz überraschte, sondern auch jene Personen, die sie vor zwei Jahren abgeschrieben und nicht mehr auf dem Radar hatten, sprintete die 20-Jährige Studentin aus Beiseförth selbstbewusst zurück ins Rampenlicht: schneller, fokussierter und entschlossener denn je.

Angesichts dieser Leistungen war es nicht überraschend, dass sie ihre Trainerin Shantel Twiggs für die Mountain West Conference (MWC) vom 15. bis 18. Mai in Fresno (Kalifornien) nominierte. Dabei traf das MT-Aushängeschild bei diesen Meisterschaften auf die schnellsten Sprinterinnen aus den US-Bundesstaaten Kalifornien, Nevada, Utah, Colorado, New Mexico und Wyoming, die sich für die erste Runde der NCAA Championships qualifizieren wollten. Die National Collegiate Athletic Association, die den Hochschulsport in den USA organisiert, ist oft das Sprungbrett für die internationale Karriere. Wer sich bei den MWC behauptet, löst das Ticket für die Vorrunde der NCAA-Meisterschaften, die Ende Mai im texanischen College Station stattfinden. Dort winkt die Teilnahme am großen NCAA-Finale, das im Juni in Eugene (Oregon) ausgetragen wird. In diesem Leichtathletik-Mekka werden Leistungen erzielt, die oft für Medaillen bei den Olympischen Spielen sowie Weltmeisterschaften ausreichen.

Zum Auftakt der Mountain West Conference standen die 200-Meter-Vorläufe auf dem Programm. Vivian ging hoch motiviert und mit einer klaren Zielsetzung an den Start. Nach einem starken Kurvenlauf lag sie hinter ihrer Trainingspartnerin Magdalene George (23,19 Sek.) und Shaquena Foote (San Diego, 23,41 Sek.) auf Rang drei. Doch auf den letzten Metern blieb der erhoffte „Turbo“ aus. Der Wille, unter 24,30 Sekunden zu bleiben, raubte ihr die nötige Lockerheit. Statt frei zu laufen, verkrampfte sie zunehmend und musste auf den letzten Metern noch Olivia Hicks (San Diego, 24,31 Sek.) sowie Camryn Ere (Utah, 24,41 Sek.) passieren lassen. Mit 24,68 Sekunden belegte sie den fünften Platz. Vor einigen Wochen hätte sie sich über diese Zeit noch gefreut, doch diesmal war die Enttäuschung spürbar. Ihr eigener Anspruch ist mittlerweile gestiegen und mit ihm auch der Druck.

Auch für den zweiten Tag hatte sich Vivian, die derzeit zwischen der Laufbahn im Mackay Stadium in Reno und den Hörsälen der University of Nevada pendelt, viel vorgenommen. „Vielleicht knacke ich heute die A-Norm für 100 Meter bei den „Deutschen“ in Dresden“, sagte sie mit einem zuversichtlichen Lächeln nach dem Aufwärmen. Diese liegt bei 11,75 Sekunden, ein Ziel, das für sie mittlerweile in greifbare Nähe gerückt ist. Doch erneut erwischte sie keinen optimalen Start. Ihre Reaktion im Block kam einen Augenblick zu spät, wodurch sie bereits nach zehn Metern etwa zwei Meter Rückstand auf Kennedi Porter (Las Vegas, 11,45) und Magdalena George (Nevada, 11,49) hatte. Lag es an dem großen Ehrgeiz oder an der Furcht vor einem Fehlstart, dass sie nach der Hälfte des Rennens dem gesamten Feld hinterherlief? Als sie nach der Hälfte der Strecke in ihren Rhythmus fand, startete sie eine beeindruckende Aufholjagd und lief nach 11,92 Sekunden als Vierte hinter Mikaela Warr (San Diego, 11,77) und vor Nakai Johnson (San Jose, 12,01) über die Ziellinie. Zwei Wochen vorher hatte sie sich im direkten Duell mit der Sprinterin aus San Jose mit 11,91 zu 11,83 noch geschlagen geben müssen

Mit einem besseren Start wäre der Einzug ins 100m-Finale in greifbarer Nähe gewesen, denn 11,83 Sekunden hätten dafür gereicht.

Am dritten und letzten Meisterschaftstag standen die Staffelwettbewerbe auf dem Programm. Nach den guten Trainingseindrücken rechnete sich das Quartett der University of Nevada sowohl über 4×100 als auch über 4×400 Meter eine kleine Chance aus, bei der Siegerehrung auf dem Podium zu stehen. Deshalb lag der Fokus in der kurzen Vorbereitungszeit besonders auf der Optimierung der Staffelwechsel, einem technisch anspruchsvollen und oft rennentscheidenden Element.

„Obwohl der Wechsel des Staffelstabs technisch anspruchsvoll und jedes Mal ein Nervenkitzel ist, hat es mir schon als Schülerin großen Spaß gemacht, in einer Staffel zu laufen“, sagte Vivian im Vorfeld der beiden Staffelentscheidungen. „Für mich war dabei immer entscheidend, dass nicht der Einzelne im Mittelpunkt steht, sondern das Team, denn jeder läuft für die anderen mit. Diese gemeinsame Verantwortung hat mich immer besonders motiviert.“

Obwohl sie mit gerade einmal 17 Jahren bei den deutschen U20-Meisterschaften in Ulm mit Zeiten von 11,73, 11,55 und 11,62 Sekunden gleich dreimal die WM-Norm von 11,80 Sekunden unterbot, blieb ihr die Nominierung für die Staffel verwehrt. Der damalige DLV-Trainer Alex Seeger hielt sie trotz dieser beeindruckenden Leistungen für nicht geeignet, Teil des Staffelteams zu sein.

Diese Entscheidung traf Vivian schwer. Es war ein Rückschlag, der beinahe Spuren hinterlassen hätte. Doch anstatt aufzugeben, kämpfte sie sich mit dem festen Willen zurück, sich und anderen zu beweisen, dass sie sehr wohl das Zeug zur Staffelläuferin hat.

Eigentlich schien das Podium in der 4×100-Meter-Staffel bereits vergeben, denn San Diego, San Jose und Las Vegas galten angesichts der starken Einzelzeiten ihrer Sprinterinnen als klare Favoritinnen. Auf dem Papier war der Leistungsabstand deutlich. Für das Team aus Reno blieb scheinbar nur die Hoffnung, zumindest mit Colorado mitzuhalten. Doch manchmal kommt es eben anders, als man denkt.

Nach zwei reibungslosen Wechseln gelang auch der dritte perfekt. Annalies Kalma reichte den Stab nahezu im Gleichschritt mit der Konkurrenz aus San Diego an Vivian weiter und Renos Schlussläuferin stürmte die letzten 100 Meter wie entfesselt über die Bahn, als würde sie von einer Herde wilder Mustangs gejagt. Neben ihr lauerte Mikaela Warr auf ihre Chance. Sie hatte im 100-Meter-Finale mit 11,72 Sekunden Rang acht belegt. Aber Vivian hielt mit ihrem Stehvermögen und eisernem Willen dem Druck stand und verteidigte ihre Position bis ins Ziel. Hinter den Favoritinnen aus Las Vegas (44,70 s) und San Jose (44,91 s) belegten das Quartett aus Reno mit 45,21 Sekunden überraschend Rang drei, zwei Hundertstel vor San Diego (45,23 s) und mit deutlichem Abstand zu Colorado State (45,77 s).

Den Schlusspunkt dieser Meisterschaften setzten die 4x400m-Staffeln. In der Hoffnung, mit den starken Läuferinnen aus New Mexico und Fresno mithalten zu können, hatte sich das Team um Vivian das ambitionierte Ziel gesetzt, unter 3:40 Minuten zu laufen. Doch das straffe Wettkampfprogramm hatte bei fast allen Athleten deutliche Spuren hinterlassen. Umso beeindruckender war es, dass einige Spezialistinnen die Stadionrunde in der Staffel dennoch in unter 52 Sekunden absolvieren konnten.

Startläuferin Kylee Parsons übergab den Stab nach 54,87 Sekunden als Vierte an Annalies Kalma. Und auch diese zeigte einen starken Lauf. Sie machte spürbar Boden gut und wechselte nach insgesamt 1:50,12 Minuten auf Vivian, die deutlich die Belastung aus ihren drei vorangegangenen Rennen in den Beinen spürte. Aber zugleich drängte ihr Ehrgeiz ihren inneren Schweinehund zunehmend in den Hintergrund, und so behauptete sie den dritten Platz. Nach 2:49,96 Minuten schickte sie Halyn Senegal auf die Reise, die im Februar 2024 bei den Mountain West Indoor Championships den Titel über 800 Meter in 2:07,48 Minuten gewann. Die talentierte Mittelstreckenläuferin brachte nach 54,78 Sekunden den Stab ins Ziel. Als Lohn durfte das Quartett aus Reno neben den Langsprinterinnen aus New Mexico (3:35,54 Min.) und Fresno (3:37,36 Min.) bei der Siegerehrung aufs Podium, wo sie für ihre 3:41,73 Minuten wie bereits über 4×100 Meter mit der Bronzemedaille ausgezeichnet wurden.

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